Schritt für Schritt zu mehr Lohngerechtigkeit

Das Entgelttransparenzgesetz soll Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern sichtbar machen

Das Entgelttransparenzgesetz soll Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern sichtbar machen – bislang hat sich allerdings wenig bewegt im Hinblick auf eine faire Entlohnung von Frauen und Männern. Jetzt hat ein Urteil das Gesetz in ein anderes Licht gerückt und macht Frauen Mut, sich für gerechtere Gehälter einzusetzen.

Text: Suse Lübker
Foto: Kay Michalak

Jan Scholand ist stolz auf seinen Etappensieg: Im Januar 2021 ist es dem Fachanwalt für Arbeitsrecht gelungen, vor dem Bundesarbeitsgericht ein Urteil zu erstreiten, das das Recht von Frauen im Arbeitsleben stärkt.

Ein Blick zurück: 2018 kam eine berufstätige Frau zu ihm in die Kanzlei, die trotz einer vergleichbaren Beschäftigung deutlich weniger verdiente als ihre männlichen Kollegen – und genau diese Differenz wollte sie einklagen. Möglich ist das durch das Entgelttransparenzgesetz (kurz: EntgTranspG): Seit dem Juli 2017 sind Arbeitgeber:innen mit mehr als 200 Angestellten verpflichtet, ihren Beschäftigten Auskunft über die Gehaltsstrukturen ihres Betriebes zu erteilen. Allerdings geht das nur, wenn mindestens sechs Beschäftigte des anderen Geschlechts eine vergleichbare Tätigkeit ausüben, verglichen wird der Mittelwert dieser sechs Gehälter. Das Entgelttransparenzgesetz wurde ins Leben gerufen, um die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen zu schließen. Denn diese Lücke existiert, das ist ein Fakt: Frauen verdienen bundesweit tatsächlich sechs Prozent weniger für gleiche Arbeit bei gleicher Qualifikation als ihre männlichen Kollegen. In Bremen beträgt diese Lücke sogar 7,5 Prozent.

Die genannte Klägerin nahm den sogenannten Auskunftsanspruch wahr und erfuhr von ihrem Arbeitgeber, dass die Gehaltsdifferenz tatsächlich erheblich ist. Allerdings sah dieser in der Differenz keinen Beleg für eine Diskriminierung.

Frauen mussten bislang Diskriminierung nachweisen

Genau das sei eines der Probleme dieses Gesetzes, findet Scholand: „Zwar gibt es mit dem Gesetz den Auskunftsanspruch, dennoch ist völlig unklar, ob der Unterschied eine Diskriminierung bedeutet. Das muss man also beweisen.“ Schlüssig und sinnvoll wäre es, wenn der Arbeitgeber belegen muss, dass hier keine Benachteiligung vorliegt und nicht die Arbeitnehmerin. Seine Mandantin klagte auf Schadensersatz und das Arbeitsgericht Göttingen hat der Klage in erster Instanz stattgegeben. Allerdings wies das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) die Klage in zweiter Instanz ab. Erst die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) führte in dritter und letzter Instanz zu einem ersten Erfolg: Der Arbeitgeber muss mit sachlichen Gründen beweisen, dass durch seine Gehaltsstruktur keine Diskriminierung vorliegt. Jetzt muss das LAG gemäß diesen Vorgaben des BAG die konkrete Klage entscheiden, dafür stehen die Chancen gut. Ob die Klägerin tatsächlich ihr Geld bekommt, ist damit noch nicht entschieden. Ein kleiner Erfolg zumindest, dennoch zeigt sich gerade an diesem Fall, dass das Entgelttransparenzgesetz Lohn-Ungerechtigkeit nicht verhindert.

Das Gesetz soll die Gehaltslücke zwischen Frauen und Männern schließen.

Politische Lösungen fehlen

Auch Marion Salot, Referentin für Wirtschaftspolitik und Gleichstellung in der Arbeitnehmerkammer, sieht das Gesetz kritisch – und zwar aus zwei Gründen. Da das Gesetz erst bei Unternehmen greift, die mehr als 200 Beschäftigte haben, werden zwei Drittel aller Frauen hiervon gar nicht erst erfasst, weil sie in kleineren Betrieben arbeiten. Hinzu kommt, dass Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten laut Gesetz zwar regelmäßig Bericht über ihre Entgeltstrukturen Bericht erstatten sollen, allerdings gibt es derzeit bei Verstößen keinerlei Sanktionen. Hier greifen die Regelungen also viel zu kurz, findet Salot. Noch entscheidender sei aber ein anderer Punkt: „Mit dem Entgelttransparenzgesetz wird versucht ein gesellschaftliches Problem auf individueller Ebene zu lösen, das eigentlich politisch angegangen werden müsse“, kritisiert die Referentin. Hier lohnt sich der Blick in andere europäische Länder: So müssen beispielsweise in Schweden Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten regelmäßig nach Geschlecht aufgeschlüsselte Entgeltstatistiken erstellen und bei Lohnungleichheit einen Aktionsplan erstellen, um die Einkommenslücke zu schließen. In den Niederlanden werden Unternehmen, die gegen das Prinzip der Entgeltgleichheit verstoßen, von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen und in Island beispielsweise drohen sogar empfindliche Geldstrafen.

Frauen verdienen bundesweit 6 Prozent weniger für gleiche Arbeit bei gleicher Qualifikation als ihre männlichen Kollegen. In Bremen sind es sogar 7,5 Prozent.

Wenig Beschäftige fordern Gehaltsauskünfte ein

Bisher wird das Auskunftsrecht selten in Anspruch genommen, zu diesem Ergebnis kam eine Betriebsrätebefragung der Arbeitnehmerkammer. Nur in 12 Prozent der befragten Betriebe wurde hiervon Gebrauch gemacht. In Unternehmen, die über keinen Betriebsrat verfügen, dürfte der Anteil noch niedriger sein. Einer vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebenen Studie zufolge, sagten allein 36 Prozent der Befragten, dass sich durch das Gesetz nichts ändern würde. 16 Prozent befürchten, dass die Inanspruchnahme des Auskunftsrechts negative berufliche Konsequenzen zur Folge haben könnten. Ähnlich sehen auch die Ergebnisse anderer bundesweiter Untersuchungen aus: Bei einer Befragung des ifo-Instituts an der Universität München zeigte sich, dass in knapp 10 Prozent aller befragten Unternehmen Beschäftigte von ihrem Auskunftsanspruch Gebrauch machten. Nur rund jede siebte Auskunft führte zu einer Anpassung des Gehalts.  Außerdem sei es für eine Beschäftigte eine große Hürde, dem Arbeitgeber vorzuwerfen, dass er diskriminiere – vor allem vor dem Hintergrund, dass die Erfolgschancen bei einer Klage bisher extrem gering waren. Viele Frauen würden sich sehr genau überlegen, ob es ihnen wert ist, das Arbeitsverhältnis zu gefährden. Salot fordert die Einführung eines Verbandsklagerechts, das die Rolle der Betriebs- und Personalräte stärken würde. Außerdem würde so der Druck von den Beschäftigten genommen, selber eine belastende Klage durchzufechten.

Jan Scholand allerdings ist zuversichtlich, dass es durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts für Frauen deutlich einfacher wird, gegen die ungleiche Bezahlung vorzugehen. Er empfiehlt, den Schwung dieser neuen Rechtslage mit in den Betrieb zu tragen. Statt gleich zu klagen, sei der richtige Weg, die Arbeitnehmervertretung anzusprechen, nur so würde sich etwas ändern.

Neu ist jetzt, dass der Arbeitgeber beweisen muss, dass durch seine Gehaltsstruktur keine Diskriminierung vorliegt.

Für eine bessere Unternehmenskultur

Wer also den Verdacht einer ungerechten Bezahlung hat, sollte sich direkt an den Betriebs- oder Personalrat wenden, auf einer Betriebsversammlung oder auch im Vier-Augen-Gespräch. In Betrieben ohne Arbeitnehmervertretung spricht man am besten direkt den Vorgesetzten. Wer den individuellen Auskunftsanspruch geltend machen möchte, kann sich auf der Seite des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ein Musterformular herunterladen.

Es gehe nicht darum Druck auszuüben, so Scholand, man müsse auf das Thema aufmerksam machen, Verständnis wecken, denn das wirke sich auch auf die Stimmung im Betrieb aus. „Werde ich ohne sachlichen Grund schlechter behandelt als andere, leidet die Motivation, die Einsatzbereitschaft.“ Am Ende profitiert auch der Arbeitgeber von einer Unternehmenskultur, in der die Gehälter kein Tabuthema sind – dessen ist sich Scholand sicher und das werde auch durch Studien belegt.

Der Podcast zu Gender Gaps und Rollenbildern

Rolle Rückwärts: Der Podcast zu Gender Gaps und Rollenbildern
Folge 12: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Vom Sinn und Unsinn des Entgelttransparenzgesetzes Werde ich gerecht bezahlt? Der Gender Pay Gap – die Verdienstlücke zwischen den Geschlechtern – liegt derzeit noch bei rund 20 Prozent. Selbst bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit bleibt im Durchschnitt noch ein Einkommensunterschied von 6 Prozent. Damit Frauen sich bei Verdacht auf Gehaltsdiskriminierungen in ihrem Unternehmen erkundigen können, was ihre männlichen Kollegen verdienen, gibt es seit 2017 das Entgelttransparenzgesetz.
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